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Zeit: Per Roller zur Dusche


WOHNGEMEINSCHAFTPer Roller zur Dusche

Leben in der Massen-WG: In Deutschlands größter Wohngemeinschaft suchen 30 junge Berufseinsteiger nach Gesellschaft.


Zwei rote Lampen spenden warmes Licht, die Schüsseln auf dem Tisch dampfen. Es gibt ein thailändisches Curry mit Hühnchen und Reis. Wer seinen Teller beladen hat, fängt rasch an zu essen. Der Geruch lockt noch mehr Hungrige ins Wohnzimmer. Am Tisch rückt man bereitwillig zusammen. Schnell steigt die Lautstärke, die Bewohner erzählen sich gegenseitig vom Tag, im Hintergrund erklingt Amy Winehouse aus der Stereoanlage. Eine Szene, die in jeder WG spielen könnte. Wären da nur nicht der riesige Tisch und die vielen Leute, heute knapp zwanzig.
Willkommen in Deutschlands größter WG in Düsseldorf. Vor der Haustür stapeln sich Fahrräder über Fahrräder. Der Flur in dem eigentlichen Bürogebäude ist so lang, dass die Bewohner mit dem Roller zur Dusche und zum Wohnzimmer fahren. Es gibt eine Poststation, eine Sauna, einen Whirlpool und eine Küche so groß wie im Hotel. Gegenüber der Küchentür hängt ein Zimmerplan mit allen dreißig Namen, für den Fall, dass einem der Zimmernachbar in der 1100-Quadratmeter-Wohnung unbekannt vorkommt.
„Die Bewohner sind in erster Linie Berufsanfänger“, sagt die WG-Leiterin, die 23-jährige Lisa. Sie ist die einzige Studentin, die derzeit in der WG in der Augustastraße in Düsseldorf wohnt. Lisa hat Vorstandsassistenten, Unternehmensberater und Juristen als Mitbewohner, größtenteils Menschen, die gerade in ihrem ersten Job stecken und sich noch keine eigene Wohnung suchen wollen. Auch Praktikanten wohnen häufig für einige Monate in der WG. Von Mitte zwanzig bis Mitte vierzig reicht das Altersspektrum, es gibt auch einen Arzt und einen Staatsanwalt, die nach der Scheidung Sehnsucht nach Gesellschaft hatten.
Diese Sehnsucht treibt sie alle her, den einen mehr, den anderen weniger. „Wir kommen alle von außerhalb und hatten Angst vor dem Berufseinstieg“, sagt Andreas, 24, der als interner Berater für eine Firma in Düsseldorf arbeitet. Auch Maria hoffte, über die WG Anschluss zu finden: „Ich habe vorher in Berlin gewohnt und gehört, dass hier in der WG ganz viele Werber wohnen“, erzählt die 30-jährige Werbekauffrau, während sie mit der Gabel in ihrer Schale stochert.
Die WG ist wie geschaffen für die Berufseinsteiger von heute, die hoch mobil und qualifiziert sind und die nach Feierabend ein wenig Geselligkeit suchen. Gekündigt werden kann innerhalb einer Frist von zwei Wochen, die Zimmer sind wahlweise möbliert oder unmöbliert zu mieten. Wer kurzfristig versetzt wird, kann schnell reagieren und braucht sich weder um einen Nachmieter noch um die Auflösung der Wohnung kümmern. „Wir gleichen die Verwerfungen der Generation Praktikum und des Job-Nomadentums ein wenig aus“, sagt der Verwalter der WG, Manfred Konitzko.
Hinter der Idee zur Riesen-WG steht Klaus Moskop, ein gutmütiger Typ mit dunkler Hornbrille, der mit allen nur per Du ist. Der 44-jährige Online-Unternehmer machte 2004 die erste Groß-WG auf, inzwischen hat er knapp 90 Mieter verteilt auf drei eigene Immobilien in Düsseldorf. Ab 300 Euro aufwärts kosten die Zimmer im Monat, möbliert sind sie zehn Euro teurer. Moskops Firma „WG Cafe“ bietet daneben Büroflächen an, auch zwei Zimmer in der WG in der Augustastraße sind Büros.
Neulinge finden in der WG so schnell Anschluss wie vermutlich nirgendwo sonst. In den ersten Tagen kommen alle Bewohner zum Einstandsessen, jeden Samstag gibt es Brunch. „Schon nach einer Woche habe ich mich nicht mehr fremd gefühlt“, sagt WG-Leiterin Lisa. Egal, ob einem der Sinn nach Kochen, Sport oder Feiern steht – irgendjemand macht immer mit: „Man muss nicht viel Energie aufwenden, um hier Gesellschaft zu finden. Sie kommt zu dir“, sagt Manfred Konitzko, der von allen nur Manni genannt wird.
Die Flexibilität hat aber auch ihren Preis. Im Schnitt kommt alle sechs Monate jemand neues, der Anschluss finden will. Für die meisten Bewohner ist die WG nur eine Übergangslösung. „Ich finde es oft sehr schade, dass die Leute so schnell wieder gehen“, sagt Maria, die seit über einem Jahr in der WG wohnt. Ein anderer Preis: Im Bad darf nichts stehen bleiben, sonst ist es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit in wenigen Tagen von den anderen aufgebraucht. Ein bisschen wie in einer Kommune, in der jedem alles gehört. Maria zieht deshalb immer mit einem Körbchen in der Hand los in Richtung Dusche. Große Ablagen für Schminktöpfchen, für viele Frauen ein Muss, gibt es nicht. Im Wohnzimmer darf nur aufgehängt werden, was mehrheitsfähig ist, alle paar Monate wird sämtliches Geschirr weggeworfen, das von Mietern zurückgelassen wurde und nicht schlicht weiß ist.
Anders als in einer regulären Wohngemeinschaft mit drei oder vier Mitbewohnern macht es in der Riesen-WG nichts, wenn man nicht mit jedem kann. „Das wäre für mich in einer normalen WG ein Grund auszuziehen. Hier sucht man sich einfach jemand anderes“, sagt Lisa. Sie hat vier gute Freundinnen in der WG gefunden und war über einen Fernsehbericht auf die WG aufmerksam geworden. „Die Entscheidung würde ich nie wieder rückgängig machen“, sagt sie und lächelt. Tatsächlich kommt beim Abendessen eine Art Familienstimmung auf, obwohl jeder kommt und geht, wann er will.
Das Hauptproblem jeder gewöhnlichen WG - die Frage, wer mit dem Putzen dran ist – ist in der Riesen-WG so gelöst, dass eine Putzfrau jeden Tag die Küche, das Wohnzimmer, die vier Duschen, die Toiletten und die Waschbecken putzt. „Ohne die ginge es nicht“, sagt Lisa. „Auf Dauer wird man bequem. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, keine Putzfrau zu haben.“ Das hat auch zur Folge, dass sich niemand außerhalb seines Aufgabenbereiches verantwortlich fühlt, zum Beispiel für die schmutzigen Wohnzimmerfenster oder die Schnipsel auf dem Küchenfußboden. Die wenigen Aufgaben, die noch bleiben, wie Post holen, Müll wegbringen, Gewürze kaufen, werden untereinander aufgeteilt, im Wohnzimmer hängt ein großer Plan. Seife, Alufolie und Toilettenpapier werden im Internet bestellt und ins Haus geliefert. Lebensmittel kauft jeder selbst, einige Bewohner haben Kochgruppen gebildet und versorgen sich gemeinschaftlich.
„Wer hat meinen Joghurt aufgegessen?“ Auch diese für Wohngemeinschaften typische Frage kommt selten vor. In den beiden großen Kühlschränken stehen beschriftete Boxen, in die jeder seine Lebensmittel sortiert. Was im Gefrierfach liegt und mit einer Plastiktüte umwickelt ist, ist für die anderen ebenfalls tabu. „Ich habe einmal Terror gemacht wegen einer geklauten Thunfischpizza“, sagt Lisa, „das war aber auch alles. Heute würde ich deswegen auch keinen Aufstand mehr machen.“
Halb zehn Uhr abends. Reis und Curry sind verputzt, die Teller abgeräumt. Viele WG-Bewohner haben sich in ihre Zimmer verzogen. Andreas und Friederike, eine 27-jährige Grafikdesignerin, surfen im Internet und quatschen dabei. „Es kommen sehr interessante Gespräche auf, man trifft Leute in den unterschiedlichsten Gemütslagen“, sagt Friederike. Die WG ist auch ein perfekter Ort für Kuppeleien, WG-Pärchen gibt es regelmäßig. Jobs wurden aber bislang noch keine vermittelt.
Lisa führt in der Zwischenzeit einen Interessenten herum. „Das mache ich drei, vier Mal die Woche, so begehrt sind die Zimmer“, sagt sie. Ihr Zimmer wird noch länger nicht frei. Auch nach ihrer Diplomprüfung will Lisa in der Riesen-WG wohnen bleiben.

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