Wenn Deutschlands größte Wohngemeinschaft sich zum Abendessen trifft, dann sieht das so aus: Bierflaschen werden geöffnet, Menschen begrüßen sich, neben einem Mann mit Anzug und Krawatte sitzt ein jüngerer im grauen T-Shirt, Besteck wird auf den großen Tisch geknallt, drei Hunde bellen. Und dann brüllt Klaus Moskob: "Leute, wer will Schnitzel?" Poldi ist Koch und mit 79 Jahren der älteste Mitbewohner, er steht in der Küche und brät Wiener Schnitzel. Es ist Akkordarbeit, schließlich muss er 53 Mäuler stopfen.
GOOGLE ANZEIGESIXT Mietwagen -10%Buchen Sie jetzt über diese Anzeige und Sie erhalten 10% Rabatt!www.sixt.de Die 53 Mäuler gehören 53 Menschen. Sie wohnen hier auf 1600 Quadratmetern, in der Elisabethstraße 39 in Düsseldorf, ganz in der Nähe der Königsallee. Das Gebäude, Versicherungsarchitektur der 70er-Jahre, wurde bis vor vier Jahren von der Westdeutschen Landesbank genutzt.
Im Durchschnitt sind die Bewohner 23 Jahre alt. Sie machen ein Praktikum. Oder arbeiten als Consultants. Oder haben sich von ihrem Partner getrennt. Oder sind Auszubildende. Oder studieren. Auch ein Oberstaatsanwalt hat bis vor kurzem hier gewohnt. Doch die meisten Menschen hier sind sogenannte Jobnomaden, die zu Beginn ihrer Karriere flexibel sein wollen und müssen - und deshalb ständig in einer anderen Stadt arbeiten. Was sie verbindet? Viel Arbeit. Und Lust auf Gemeinschaft.
Zum Beispiel Torsten, 30, Consultant. Er wohnt hier von Montag bis Donnerstag, am Wochenende geht es zurück nach Berlin, zur Freundin. Er sagt: "Vom Gefühl her ist das hier ein zweites Zuhause." In Hotels fühlt er sich nicht wohl, da könne er nicht schlafen. An die Wohngemeinschaft habe er sich nach seinem Einzug im April nach ein paar Wochen gewöhnt. Er hat in dieser Zeit auch drei enge Freunde gefunden. Allerdings: Da sind die Freunde in Berlin - und da sind die Freunde in Düsseldorf.
Klaus Moskob, 44, Erfinder von "WGnow", hat endlich auch ein Schnitzel auf dem Teller. "Das hier ist ganz klar eine Familiensimulation." So habe ihm das eine Psychiaterin erklärt, die früher hier gewohnt hat. Klaus, der nach zwölf Jahren Ehe geschieden wurde, sieht sich in der Rolle des Vaters, der einmal im Monat auf den Tisch haut und schimpft. Sein Kompagnon Manfred Konietzko, 42, sei "eher der Muttertyp". Der Manni habe einen anderen Zugang zu den Leuten. Klaus nennt Manni Schätzchen.
Aber das ist nichts Besonderes. Klaus nennt nämlich auch Holger Schätzchen. Holger ist 23 Jahre und Azubi, lernt Fachkraft für Veranstaltungstechnik. Schnell wird klar: Er fühlt sich hier pudelwohl. Ungefragt kommt er richtig ins Schwärmen, erzählt von den "total netten Leuten" - und dass immer einer da sei zum Quatschen, auch mal um halb drei in der Nacht.
Manni sagt: "Wir fangen auch die Leute auf, die aus dem Hotel Mama kommen." Einmal in der Woche wird gekocht, Hemden kann man bügeln lassen, die Gemeinschaftsräume und die Badezimmer werden jeden Tag von einer Putzfrau geschrubbt. Klaus wohnt noch in der Elisabethstraße, Manni nicht mehr. Nach der Trennung von seiner Freundin lebte der 42-jährige IT-Consultant, der früher oft in WGs gewohnt hat, gerne hier. Doch nach einem Jahr sehnte er sich wieder nach einem Leben in den eigenen vier Wänden - mit der neuen Freundin. Wie die meisten Bewohner war es für ihn nur eine Übergangslösung. Im Schnitt bleiben die Bewohner sechs Monate.
Christian passt genau in den Schnitt. Er wohnte sechs Monate hier, am 1. Januar ist er ausgezogen. Heute ist er zum Essen gekommen, wurde per SMS-Verteiler eingeladen. Der 27-jährige Konferenzmanager spricht von der WG als einem "eigenen Kosmos". Es sei eine sehr intensive Zeit gewesen. Auch anstrengend und chaotisch, "im positiven Sinne". Es gebe hier kaum Eigenbrödler, immer finde sich einer zum Reden. "Man wächst schnell zusammen", sagt er und zündet sich eine Zigarette an, "aber es zerschlägt sich auch wieder schnell." Er hat nach dem Studium in Berlin die größte WG Deutschlands als Plattform benutzt - um Düsseldorf kennen zu lernen und ein paar Freunde zu finden.
22.20 Uhr. Ein harter Kern sitzt noch am großen Tisch, viele telefonieren in ihren Zimmern oder sind erschöpft vom Zwölf-Stunden-Tag. Und Klaus, der den ganzen Abend als Hilfskoch, Kellner und Tellerwäscher eingespannt war, hat jetzt Zeit zu erzählen. Sein Konzept ist einfach: Eine leerstehende Gewerbeimmobilie wird, nachdem er einen Vertrag mit dem Besitzer gemacht hat, in eine Wohngemeinschaft verwandelt. Das dauert nicht lange, sagt Klaus, man müsse nur ein paar Duschen und ein paar Küchen einbauen. Das WG-Geschäft sei "fast nicht profitorientiert". Er und Manni verdienen erst durch die Wertsteigerung der Immobilie - denn ein Gebäude, das genutzt wird, ist für Käufer oder Mieter attraktiver als ein leerstehendes.
Neben der Wohngemeinschaft in der Elisabethstraße gibt es noch eine ähnliche in der Augustastraße im Norden von Düsseldorf. Dort wohnen 33 Menschen. Klaus sagt, beide Wohngemeinschaften seien immer ausgebucht. Ein Quadratmeter Wohnraum kostet im Monat 20 Euro. Weder für die Gemeinschaftsräume oder Strom, noch für Internet-Flatrate oder Waschmaschinennutzung muss extra gezahlt werden. Wer keine Möbel mitbringt, darf sich für ein paar Euro aus dem Fundus bedienen.
Das Konzept entspricht der Lebenswirklichkeit vieler Berufseinsteiger - und Klaus möchte es auch in andere Städte exportieren. Konkrete Planungen laufen in Köln, Bonn und Münster. Doch das Leben in den Groß-Gemeinschaften wird möglicherweise schnell vorbei sein, wenn der Besitzer einen neuen gewerblichen Mieter findet. Die Wohngemeinschaften könne man sehr schnell leer räumen, sagt Klaus. Denn die Kündigungsfrist besteht für Mieter und Vermieter nur aus 14 Tagen.
Die extrem kurze Kündigungsfrist gefällt natürlich auch den Mietern. Etwa Wolfgang, 28, krause schwarze Locken, Consultant, viel auf Reisen. Er mag das WG-Leben, weil er so wenig Energie für Sozialkontakte aufbringen müsse. Langfristig zieht es ihn jedoch zurück in seine Heimatstadt München. Vorher möchte er noch im Ausland arbeiten. Falls sich da kurzfristig was ergibt, kann er sofort kündigen, muss sich nicht um einen Nachmieter kümmern - und ist nach zwei Wochen weg.
@Mehr zur Wohngemeinschaft: www.wgnow.de
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