Deutschlands größte WG
Nicoles Nächte im Schaufenster
Von Sandra Fomferek, Düsseldorf
In Deutschlands größter Wohngemeinschaft teilen sich Studenten, Chirurgen und Anwälte Bad und Küche. Täglich bewerben sich neue Kommunarden, die auch vorm Probeschlafen im Schaufenster nicht zurückschrecken.
FOTOSTRECKE
Kommunenleben im Autohaus: Fotoalbum einer Riesen-WG
Die Einsamkeit währt nicht lange, Christian und Christoph stürmen in die Küche, zapfen sich für 30 Cent Kaffee aus der 3000 Euro teuren Espresso-Maschine und plumpsen auf die orangefarbenen Plastikstühle. Eigentlich wollten sie nur auf einen Sprung vorbeischauen, entscheiden sich aber spontan um, als "Herbergsvater" Klaus Moskop bepackt mit Einkaufstüten zur Tür reinkommt. "Es gibt thailändisch", verkündet er. Der dunkelgekleidete 42-Jährige mit der schwarzen Hornbrille ist die gute Seele der WG. Ein Kumpel-Typ, der immer dafür sorgt, dass der Kühlschrank voll ist, sich Geburtstagsgeschenke für die Kommunarden einfallen lässt und jeden mit "Schätzchen", "Süße" und "Baby" anspricht. Sein Geld verdient der Düsseldorfer mit Suchmaschinen-Ranking, aber sein Herz schlägt für das "superinteressante Wohnexperiment".Düsseldorf - Ganz alleine sitzt Nicole am großen schwarzen Esstisch. "Eigentlich ist immer jemand da", wundert sie sich. Sie klappt ihren Laptop auf und nutzt den Ausnahmezustand, um in Ruhe Billigflüge nach Istanbul und Rom zu suchen. Vor einem Monat ist die Kalifornierin in die Riesen-WG im Düsseldorfer Stadtteil Friedrichstadt gezogen. "Man kommt hier mit Leuten zusammen, die man sonst nicht trifft, und findet immer jemanden, der freitagabends Lust hat, etwas zu unternehmen", schwärmt sie. Dafür nahm die Sprachlehrerin auch in Kauf, dass sie die erste Woche auf dem Gästebett schlafen musste. Das steht im Schaufenster des ehemaligen Autohauses an der Adersstraße. "Nackt schlafen sollte man dort nicht", lautet ihre Empfehlung.
23 Leute zwischen 19 und 45 Jahren leben inzwischen in dem 500 Quadratmeter großen Autohaus und einigen angrenzenden Wohnungen. Zehn weitere Bewohner werden in ein Loft in der Nähe ziehen, das gerade renoviert wird. "Die Zimmer sind schon alle vermietet", freut sich Moskop. Als er das Haus vor einem Jahr entdeckte, verliebte er sich sofort in die "sexy Location": Im Erdgeschoss gehen Küche, Büro und Wohnzimmer ineinander über. Eine Treppe führt zu den Schlafzimmern. Die Einrichtung mit roter Deckenlampe, orangefarbenen Wänden und Sitzkissen versprüht Siebziger-Jahre-Flair.
Angefangen hatte das Projekt damit, dass Moskops vorige Wohngemeinschaft platzte. Kurz entschlossen suchte der Düsseldorfer per Anzeige neue Mitbewohner. "Da ist mir erst klar geworden, wie groß der Markt für WGs ist", erzählt Moskop, der bis dahin kaum kommunenerprobt war. Schnell waren die Räume vermietet. Beflügelt vom Erfolg seines "WG-Cafés", so der Name der Mega-WG, bastelt der Herbergsvater bereits an weiteren neuen Wohnungsformen: Im Internet sucht er Interessenten für eine Mutter-Kind-Wohngemeinschaft und eine 50plus-Kommune.
"Ein realer Chatroom"
Die Nachfrage reißt nicht ab: Noch immer bekommt Moskop täglich Mails und Anrufe von Zimmersuchenden. Potentielle neue Kommunarden schauen beim gemeinsamen Abendessen vorbei, wie Hootan Shahi: Der 24-jährige Iraner studiert in Düsseldorf BWL. "Bis jetzt wohne ich alleine, das ist teuer und einsam", sagt er. Moskop ist optimistisch, dass sich auch für Hootan ein Platz finden wird. "Da ergibt sich immer etwas", meint er. Als der Andrang zwischenzeitlich zu groß wurde, vermietete der Düsseldorfer sogar eine Zeit lang sein eigenes Zimmer an eine Kanadierin, zog aus der Riesen-WG aus und bei einem Kumpel ein.
Während er gemeinsam mit Manfred, der bald in das Loft zieht, Gemüse schnippelt, treffen nach und nach die anderen Bewohner ein. Azubis, Studenten, Werber, Stahlhändler und Anwälte lassen sich am Küchentisch nieder. "Das ist ein realer Chatroom hier", meint Georg. Der 33-Jährige ist Chefkonditor in einem Hotel. Besonders die ungewöhnliche Mischung aller Alters- und Berufsklassen findet er spannend.
"Klaus siebt die Leute aus. Der hat das richtige Bauchgefühl", sagt Stefan, der Unfallchirurg. Mit seinen 45 Jahren ist er der WG-Älteste in der Adersstraße. Nach der Trennung von seiner Familie hatte der Mediziner keine Lust, alleine zu wohnen. Er genießt das Geplapper der Menge bei Musik und Altbier: "Wenn du hier sitzt, hast du nie schlechte Laune."
Die üblichen WG-Streits um Putzpläne und Aufräumarbeiten bleiben aus, dafür sorgt eine Putzfrau. Nur, wenn jemand WG-Hund Schnappi mit der Erbsenpistole beschießt, versteht der sonst so gutmütige Klaus keinen Spaß: Der Scherz hätte einen Bewohner fast das Zimmer gekostet. Für eine Miete zwischen 300 und 400 Euro bekommen die Bewohner einiges geboten: Telefon und Internet sind kostenlos, eine benachbarte Rentnerin bügelt für ein Euro das Stück die Hemden, am Wochenende gibt es Brunch, gelegentlich schaut ein befreundeter Friseur vorbei und im neuen Loft soll sogar ein Whirlpool angelegt werden.
"Ein bisschen Kommunen-Atmosphäre"
Die WG-Köchin ist zwar gerade abgesprungen, doch Moskop hat schon neue Pläne: Ein Ein-Sterne-Koch soll die Wohngemeinschaft mit Mahlzeiten beliefern. "In einem Dampfdruckgarer wärmen wir das Essen auf und dann kommt einfach ein Topf auf den Tisch." Hunger leiden muss im "WG-Café" sowieso niemand: Dank wöchentlicher Abschieds- und Einstandsessen sind die Mahlzeiten gesichert.
Die Kündigungsfrist beträgt zwei Wochen - ideale Bedingungen für Praktikanten und Probezeitler. Im Schnitt bleiben die Bewohner vier Monate und kehren mit dem Ende des Praktikums dem WG-Leben wieder den Rücken. Ben hat einige Mieter kommen und gehen gesehen. Mit elf Monaten wohnt der Wirtschaftsprüfer am längsten in der WG: "Ich wusste am Anfang nicht, was mich erwartet, aber ich bin positiv überrascht."
Nesthäkchen Nathalie ist seit November dabei. Ihre Tage in der Kommune sind gezählt, im April wird die 19-Jährige nach Berlin ziehen. "Ich will den Kontakt aber auf jeden Fall halten", versichert die zierliche Praktikantin und schaut traurig.
Nach dem Essen geht Josie Manfred zur Hand und räumt die Spülmaschine ein. Feste Aufgaben hat in der WG keiner. Anfangs sollten über ein Punktesystem diejenigen, die sich in der Gemeinschaft nützlich machen, mit Mietnachlass belohnt werden. Mittlerweile verstaubt die Liste auf der Fensterbank. "Es gibt keine Kontrolle, das muss auf freiwilliger Basis laufen", sagt Klaus. Ein frischgegründeter Mieterbeirat möchte jetzt zwar ein paar Vorschriften durchsetzen, zu denen auch Kühlschrank-Aufräumen und Schuhe-Abputzen gehören - doch durchsetzen konnten sich diese Forderungen bislang nicht. "Hier herrscht schon ein bisschen Kommunen-Atmosphäre", sagt Klaus nicht ohne Stolz. Nur eine Regel ist verbindlich für alle: Der Dreh- und Angelpunkt der Wohngruppe, der große Esstisch, muss immer sauber sein.
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